Was tun gegen Ungerechtigkeit im Bildungssystem?

Foto: Fabian Sommer

Bürgerrat Bildung und Lernen veröffentlicht Vorschläge für eine gerechte Bildung: Offizielle Übergabe an die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Katharina Günther-Wünsch

In Berlin und in drei weiteren Bundesländern gibt es diese Woche Zeugnisse. Bevor es in die Sommerferien geht, werden die Leistungen der Kinder und Jugendlichen obligatorisch noch einmal bewertet. Nicht für alle ist das ein Grund zur Freude. Doch wäre es unter den gegebenen Umständen nicht fair, auch dem Schuljahr selbst ein Zeugnis auszustellen? Das fragt der bundesweit aktive Bürgerrat Bildung und Lernen, der heute in Berlin seine „Vorschläge für eine gerechte Bildung“ veröffentlicht hat.

Der gravierende Lehrkräftemangel im ganzen Land, die Folgen der Corona-Pandemie sind ein Dauerthema – auch in den Medien. Studien belegen, dass diese Probleme vor allem denen zusetzen, die in ihrem Alltag ohnehin mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen haben: Kinder, die in Familien mit wenig Geld aufwachsen und die in Sachen Bildung von zuhause quasi keine Förderung zu erwarten haben. Von der oft beschworenen Chancengleichheit haben sie in ihrem Leben noch nichts mitbekommen. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Nachweislich geht die soziale Schere bei der Bildung immer weiter auseinander. „Da frage ich mich, welche Note hat eigentlich die Schulpolitik in Sachen Chancengleichheit verdient?“, sagt die 46-jährige Organisationsentwicklerin Katharina Roos. Sie ist Mitglied im Bürgerrat Bildung und Lernen. Ausgewählt wurde nach dem Zufallsprinzip. Genauso wie die rund 300 Menschen aus allen Teilen der Republik, mit denen sie in den letzten 12 Monaten viel und kontrovers über das Thema Chancengleichheit diskutiert hat. Gemeinsam haben sie Ideen entwickelt, wie es besser laufen könnte. Das Ergebnis ihrer gemeinsamen Arbeit trägt den Titel „K/eine Chance – Vorschläge für eine gerechte Bildung“. Heute wurde das neue Programm mit insgesamt 15 Empfehlungen offiziell an die Kultusministerkonferenz (KMK) übergeben. Der Termin mit der KMK-Präsidentin und Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch fand in der Gretel-Bergmann-Gemeinschaftsschule in Berlin-Marzahn statt.

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Pressefoto (Foto: Fabian Sommer)

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Katharina Günther-Wünsch, die bereits mehrfach im Austausch mit Bürgerbotschafter*innen und Jugendbotschafter*innen des Bürgerrats Bildung und Lernen war, versprach, die Diskussion über das neue Programm auch im Kreis der KMK fortzuführen. „Die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger zum Thema Chancengerechtigkeit bieten gute Anknüpfungspunkte für das Schwerpunktthema Ganztag im Rahmen meiner KMK-Präsidentschaft.“

Von der Kita bis zur Berufsbildung

Bei seiner Arbeit an den Empfehlungen hat sich der Bürgerrat Bildung und Lernen auf drei Bereiche konzentriert. Einig war sich das Gremium, dass insbesondere benachteiligte Kinder schon früh und individuell gefördert werden müssen. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger sollte es eine Offensive für frühkindliche Bildung mit mehr Kita-Plätzen, mehr Fachkräften und mit kleineren Kindergruppen geben. Sehr große Zustimmung erfuhr der Vorschlag, eine verbindliche Förderung der Sprachkompetenz in Kindertagesstätten sicherzustellen. Eine Ausweitung des Fachpersonals sei insbesondere auch an den allgemeinbildenden Schulen dringend erforderlich. Um Chancengleichheit zu ermöglichen, muss aus Sicht des Bürgerrats eine kontinuierliche Betreuung durch multiprofessionelle, vielseitige Teams sichergestellt sein.

Längeres gemeinsames Lernen

Viel diskutiert wurde im Gremium darüber, dass Kinder in der Schule länger gemeinsam lernen sollten. Aktuell ist der Regelfall, dass sie nach der 4. Klasse eine weiterführende Schule besuchen (in Berlin findet dieser Wechsel nach der 6. Klasse statt). Eine klare Mehrheit von 62% im Bürgerrat sprach sich dafür aus, dass Kinder und Jugendliche künftig in der Regel wie in anderen Ländern bis zur Jahrgangstufe 10 gemeinsam lernen können – bei individueller Förderung sowohl für die leistungsstarken und leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler.

„Chancengerechtigkeit bedeutet, dass jeder Einzelne sein maximales Lernpotenzial erreichen kann, und dafür ist die Individualisierung des Lernens ist von großer Bedeutung“, sagt der Bürgerrat Dieter Schulz, 69 aus Bad Zwischenahn in Niedersachsen. „Jeder Mensch hat individuelle Vorlieben, aber auch Abneigungen, sowie Stärken und Schwächen.“ Es sei unerlässlich, diese Aspekte in der Bildung uneingeschränkt zu berücksichtigen, sagt der ehemalige Personalentwickler in der IT. „Es ist an der Zeit, uns von einem reinen Lehransatz hin zu einem lernerzentrierten Ansatz zu bewegen.

Chancengleichheit in der Bildung sollte sicherstellen, dass alle Kinder und Jugendlichen die Chance auf eine guten Schulabschluss haben und so später ihren Wunschberuf anstreben können, ganz gleich, wo sie in Deutschland zur Schule gegangen sind und ob sich die Eltern diese Berufsausbildung ihres Kindes auch leisten können.

Moaz Krenba, der vor sieben Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam, berichtete von seinen ganz persönlichen Erfahrungen während der Schulzeit: „Ein guter Schulabschluss war für mich mit einem ständigen Kämpfen verbunden. An mich und meine Potenziale hat im System Schule niemand geglaubt. Ich war von innen heraus hochmotiviert, habe mit Youtube-Videos Deutsch gepaukt und nur so konnte ich in den anderen Fächern Anschluss finden.“

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